Leben unter der Kontrolle der M23
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Leben unter der Kontrolle der M23
Bericht von Bertin Mungombe, Bukavu*
Am Sonntag, 16. Februar 2025, versammelt sich die Bevölkerung von Bukavu auf den Strassen, um die M23, die neuen Besatzer zu begrüssen. Die Soldaten der M23, marschieren von der «Place de l’Indépendance», dem geschäftigsten Verkehrsknotenpunkt am Eingang zum Stadtzentrum, in die Stadt ein. Schon am Freitag hatten die Soldaten der kongolesischen Armee (FARDC) die Stadt verlassen. Sie hatten Gewehre und Munition in Depots zurückgelassen. Diese Waffen gerieten in die Hände von Jugendlichen, sogar Kindern, die damit Angst und Schrecken verbreiteten. Sie zerstörten, vergewaltigten, plünderten und stürzten die Wirtschaft der Provinz Süd-Kivu ins Chaos. Sie zerstörten Gebäude der Bralima, der einzigen industriellen Brauerei im Süd-Kivu und plünderten ihr Produkt- und Warenlager. Die Bralima war gezwungen, vorübergehend ihre Tore zu schliessen. Tausende von Mitarbeitern wurden arbeitslos. Die marodierenden jugendlichen Plünderer hatten auch Bukavus grössten Markt im Stadtteil Kadutu nicht verschont. Sie plünderten Geschäfte und Stände und steckten einen Teil davon in Brand. In der Nacht auf den Samstag kam zu Massenausbrüchen aus den beiden grössten Gefängnissen des Süd-Kivu – nur 5 kranke und fluchtunfähige Gefangene blieben im Zentralgefängnis Bukavu zurück.
Ruhe ohne Frieden
In seiner Rede am Sonntag forderte einer der Kommandeure der M23 die Zivilisten auf, ihre Waffen an das Militär zu übergeben. Er kündigte an, dass die M23 in der Stadt eine Säuberungsaktion organisieren werde. Jeder, der mit einer Waffe angetroffen werde, werde als Feind betrachtet und entsprechend behandelt. Eine Botschaft, die die Bevölkerung beruhigen sollte. Aber das Gegenteil geschah; seit dem Einmarsch des M23 vergeht keine Nacht, ohne dass Tote zu beklagen sind. Zeugen erzählen, dass bewaffnete Räuber gefasst und sogleich erschossen werden, von der M23, aber auch von der Bevölkerung, die Selbstjustiz übt. Es herrscht eine Atmosphäre der Unsicherheit, die die Bevölkerung in ein ungewisses Dunkel stürzt. Angst hat die gewisse Freude ersetzt, die aufkam, nachdem die M23 die Stadt ohne Blutvergiessen hatte übernehmen können. Niemand bewegt sich mehr frei nach 19 Uhr, aus Angst, als Dieb oder als Verdächtiger ins Visier genommen zu werden. Bisher wurden keine genauen Zahlen zu den täglich registrierten Toten veröffentlicht. Einige Organisationen sprechen von etwa dreissig in weniger als zwei Wochen.
Die Angst im Bauch ist auch spürbar im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsarbeit, der sogenannten „Salongo“. Die Arbeit besteht darin, den Abfall entlang der Hauptstrassen einzusammeln. Die Salongo war bisher freiwillig. Mehrere Einwohner sagten, dass sie aus Angst vor Sanktionen nicht zu Hause geblieben seien. Zu Beginn der M23-Herrschaft waren die örtlichen Behörden mit Megafonen durch die Strassen gegangen und hatten Gemeinschaftsarbeit angekündigt. Sie warnten davor, sich nicht zu melden. «Sie sagten uns, dass wir uns nicht von den Freunden in Goma unterscheiden. Wenn wir die Stadt nicht sauber machen, werden auch wir bestraft wie die in Goma. Wir haben also unter Zwang gearbeitet“, sagt ein Bewohner. Anmerkung hje: Während meiner 2 1/2 Jahre in Bukavu war es an den Samstagmorgen, an denen «Salongo» angesetzt war, verboten Auto zu fahren. Ich habe aber kaum je jemanden gesehen, der Abfall gesammelt hat.
Das Leben ist sehr teuer geworden
Zwei Tage nach dem Einmarsch der M23 in Bukavu ist etwas Leben in die Stadt zurückgekehrt. Die Autoritäten bemühen sich, die Wirtschaft der Stadt nach und nach wieder in Gang zu bringen, die Situation bleibt aber schwierig. Die Millionenstadt Bukavu ist von ihrem Umland abgeschnitten, sie ist bei der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern auf Ruanda angewiesen.
Anmerkung hje: Bukavu grenzt an Ruanda. Die Grenze blieb aber immer offen, obwohl die DR Kongo Ruanda – wohl zu Recht – beschuldigt, die M23 massiv mit Waffen und Soldaten zu unterstützen.
Seit Kurzem kommen auch wieder Waren per Schiff aus Goma nach Bukavu. Eine kleine Umfrage, durchgeführt auf verschiedenen Märkten, zeigt allerdings, dass die Preise für lebensnotwendige Güter in die Höhe geschossen sind. Dies gilt beispielsweise für Maismehl, Zucker und Reis. Ein Kilogramm Zucker, das zuvor für 2500 bis 3000 Fc (Francs congolais) gehandelt wurde, kostet jetzt 5000 bis 6000 Fc. Ein 50-kg-Sack Mais, der vor dem Einmarsch der M23 für 29 Dollar verkauft wurde, kostet derzeit 36 Dollar. Verschlimmert wird die Situation, weil Banken- und Finanzinstitute noch nicht wieder geöffnet haben. Es ist deshalb wenig Bargeld im Umlauf. Das führt dazu, dass die Geldwechsler (Cambistes) beim Geldumtausch spekulieren. „Die Bevölkerung braucht Geld, es ist schwierig, Essen zu kaufen, weil wir kein Geld haben“, sagte eine Dame, auf dem Markt von Nyawera. mitten im Stadtzentrum.
Anmerkung hje: Im Kongo sind zwei Währungen im Umlauf. Kleine Beträge werden meist in kongolesischen Francs bezahlt, grössere in US-Dollar. Ein US-Dollar entspricht derzeit etwa 2500 FC. Hunderte Männer und Frauen arbeiten entlang der Strassen als Geldwechsler*innen. Da die Konkurrenz gross ist, ist der Kurs in normalen Zeiten realistisch und entspricht dem Kurs, den auch die Banken anbieten. Dort muss man allerdings anstehen, während ein Geldwechsel auf der Strasse kaum eine Minute dauert.
Auch die Menschen aus Dörfern wie Kabare und Walungu müssen 6 bis 30 Kilometer bis in die Stadt Bukavu zurücklegen, um das Lebensnotwendige einzukaufen, denn die Böden in den Dörfern sind unfruchtbar geworden.
Alles soll bald wieder besser werden….
Am Freitrag 28. Februar hatte Corneille Nangaa, der Koordinator der AFC/M23, seinen ersten Auftritt in Bukavu. Zehntausende hatten sich unter sengender Sonne auf dem «Place de l’Indépendance» versammelt. Nangaa versprach Abhilfe für die wirtschaftlichen Probleme in den Städten Goma und Bukavu. Er kündigte Verhandlungen mit der Brauerei Bralima an, Treffen mit den Verantwortlichen der Banken und dem Internationalen Währungsfonds an, Öffnung der landwirtschaftlichen Zufahrtsstrassen in den vom M23 besetzten Gebieten an – kurz gesagt, eine schrittweise Rückkehr der wirtschaftlichen Aktivitäten. Die Stimmung war fast schon festlich. Aber nur wenige Minuten nach seiner Präsentation – die Bevölkerung wollte zu jubeln anfangen – waren inmitten der Menge zwei Detonationen zu hören. Um ihr Leben zu retten, floh die Bevölkerung in alle Richtungen. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit gab Nangaa bekannt, dass mehr als 65 Verletzte im Provinzkrankenhaus behandelt worden und 11 Menschen umgekommen seien. Bis zur Beerdigung stieg die Zahl der Toten auf 17.
Noch keine Rückkehr zu normalem Schulbetrieb
In Bukavu gehen erst wenige Kinder wieder zur Schule. „Ich möchte meine Kinder nicht in Gefahr bringen. Sie werden zu Hause bleiben, wir wollen beobachten, was weiter passiert“, sagte ein etwa vierzigjährige Vater von vier Kindern. Er betont, dass in den sozialen Netzwerken Nachrichten von Personen kursieren, die sich als «Wazalendo» ausgeben, einer Gruppe von lokalen regierungsnahen Milizen. Diese wiesen die Eltern an, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken, da sie die Stadt jederzeit angreifen könnten. Der Mann verweist auch auf Audio- und Videomaterial von Eltern aus Goma, die besagen, dass ihre Kinder auf dem Weg zur Schule entführt worden seien. Eltern, die in Goma kontaktiert wurden, bestreiten diese Information jedoch. Der Lehrer einer kostenpflichtigen Privatschule in Bukavu nennt die wachsende Unsicherheit als einen Grund, warum die Rückkehr der Kinder in die Schule gefährdet ist. Er nennt auch finanzielle Gründe „Wir würden gerne wieder zur Schule gehen, aber wer wird uns bezahlen? Glauben Sie, dass Eltern lieber Schulgebühren bezahlen, als ihren Kindern Essen zu kaufen? Lehrer der öffentlichen Schule fragen sich: «Bezahlt Kinshasa weiterhin unsere Löhne, da wir jetzt von der M23 besetzt sind. Und wenn, bei welcher Bank kann ich den Lohn dann abholen? Es herrscht völlige Verwirrung.
Keine Prüfungen an Universitäten für Staatsexamen im Nord- und Südkivu
Das verantwortliche Ministerium hatte die Vorprüfung für das Staatsexamen 2025 auf den 7. März 2025 angesetzt. Sie sollte in der gesamten Demokratischen Republik Kongo stattfinden ausser im Nord- und Südkivu. Sobald die Sicherheitsbedingungen in den von der M23 besetzten Gebieten wiederhergestellt sei, könne eine Sondertermin organisiert werden, hiess es aus dem Ministerium
Wie soll es weitergehen?
Unterdessen rückt die M23 weiterhin nach Süden vor. Heute, am 8. März, wird von Kämpfen berichtet zwischen der M23 und der kongolesischen Armee (FARDC), die von den Wazalendo unterstützt wird. Gekämpft wird in der Gegend von Mwenga, wo sich Minen befinden, in denen grosse Mengen Gold gefördert werden. Ein Einwohner Uviras brachte es auf den Punkt „Wir leben in der totalen Unsicherheit. Wir wissen nicht, wann diese Tragödie enden wird.“