November 2018 in Bukavu und Umgebung
Seit bald 14 Tagen sind Hansjörg und ich nun hier in der Region Grand’Lacs. Wie immer erschlägt mich der Lärm und der Staub in Bukavu erst einmal. Daran gewöhnt man sich. Nicht gewöhnen kann ich mich daran, dass die Armut immer grösser wird, und zur Zeit, vor den Wahlen, auch die Unsicherheit. Es dünkt uns aber, dass die Stadt etwas sauberer geworden ist, auch die Place d’Independance sieht nicht mehr aus wie eine Abfallhalde. Und der Platz „Feu rouge“ hat ein Ungetüm von einem Rotlicht, „faite en RDC“, entwickelt von einer Kongolesin, die die Rechte an eine südafrikanische Firma verkauft hat. Der Zustand der Strassen allerdings wird nicht besser, eher dass Gegenteil, vor allem die Hauptstrasse, und in den Quartieren, jene in Muhumba ist fast schlechter als die im Dorf Walungu! Warum? – weiss keiner: Ist nicht so wichtig, es ist eh so, wie es ist.
Wir haben drei Tage in Ikoma verbracht. Über 300 Kinder gehen in unsere Ecole Primaire Milondola. „Mais Madame Directrice!! In der 1. und 2. Klasse sind ja 70 Kinder,“ Wir verstehen das Dilemma: Mehr SchülerInnen – mehr Geld, aber auch: Mehr SchülerInnen – weniger Qualität. Und letzteres ist unser Markenzeichen, deshalb wollen viele Eltern wenigstens ein Kind bei uns zur Schule schicken. Oder wie es das Elternkomitee formuliert: „Wir haben eine moderne Schule, mit modernen Methoden, und unsere Lehrer werden weitergebildet.“ Merken wir auch etwas von der Weiterbildung der Lehrer im Institut Les Gazelles in Kinshasa? Einen Morgen sitzt Hansjörg in den Klassenzimmern und berichtet, doch, ja, vor allem ab der Mittelstufe werde mehr Abwechslung im Unterricht geboten, es habe Zeichnungen an den Wänden und in der sechsten Klasse, wo nur noch 30 SchülerInnen sind, gibt es sogar Gruppenunterricht. Auch bestätigen alle, dass sie Intervision machen, sie besuchen sich gegenseitig im Unterricht und ratschlagen darnach, wie es besser, auch anders, oder überhaupt gemacht werden könnte. Da können sich Schweizer LeherInnen noch eine Scheibe abschneiden, dachten wir. Auch die kongolesischen Lehrer haben viel zu tun neben dem Unterricht, das Elternkomitee, die Rapporte, 30 bis 40 Diktate korrigieren, Mithilfe auf der Ferme, und genau wie auch die Kinder: Schulwege bis zu einer Stunde, zu Fuss, bei anständigem Wetter.
Das Schulgebäude ist in akzeptablem Zustand, nicht schön gemalt, aber hier stört sich niemand daran, ausser Hansjörg, er vertritt die Schweizer Qualitätsarbeit. Ich habe es aufgegeben, weil es nicht möglich ist in diesen Verhältnissen, wo nicht täglich ein Muzungu zur Ordnung brüllt. Trotzdem, alles verstehe auch ich nicht: Warum wird der Hahn am oberen Wassertank nicht ersetzt? Warum wird die Leitung beim unteren nicht geflickt? Fehlen die Teile, oder gehen sie vergessen? Oder sind es Zuständigkeitsprobleme? “ Mösiö Hans, kauf in der Stadt…“ Nicht, immer noch nicht: „Bitte, Mösiö Hans, kauf in der Stadt…“ Hmmgrrr!
Ein wichtiger Tag war letzten Freitag, am 16.11. Wir hielten eine Versammlung ab, an der das Elternkomitee, zahlreiche Eltern, der Agronom Augustin, die Directrice, Ehemalige der E.P. Milondola, ungefähr 20 Jahre alt, mit Sekundarschulabschluss (also 12 Schuljahre erfolgreich bestanden), ohne Arbeit. Fiston, unser Projektkoordinator vor Ort, leitete die Diskussion behutsam und verständig: dass wir, wie alle ONG, weniger Geld von Spendern bekämen, und ebenso bedeutend, dass Hansjörg und Anita älter würden, und vielleicht nicht mehr so oft in den Kongo reisen könnten, und auch nicht mehr sooo lange leben würden, personne peut savoir. Es sei deshalb an der Zeit, vor Ort Verantwortung zu übernehmen, peu a peu! Gemurmel und Gekicher, aber auch ernste Gesichter, was auf Verständnis schliessen liess. Es gehe darum, wie die Schule weiter existieren könne. Jede Gruppierung hielt so was wie ein Eintretensvotum. In diesen Voten wurde deutlich, dass die Ferme als Bestandteil der Schule ein „Must-have“ ist. Ausnahmslos alle, auch die jungen Ehemaligen, setzten das vor alle andern Punkte. Ja aber, entgegneten wir, das Geld…. wie können wir das halten? Es kamen viele, darunter auch sehr gute Ideen, wie die Eltern der Schule und der Ferme helfen könnten. Schwerpunkt war, voneinander profitieren, ich bringe Futter, und Du, Agronom, hilfst mir wenn mein Schwein krank ist. Oh, wir wussten gar nicht, dass Augustin ein „Para-Veterinär“ ist, mit entsprechendem Abschluss!, der über die Tier-Krankheiten Kenntnisse hat, und Medikamente verabreichen kann, die er sogar hat, und die er sogar spritzen kann. Mais, voila! dachten wir, als er seine medizinischen Schätze auspackte.
Wermuthstropfen ist die endgültige Absage an die Ecole des Metiers, die Jungen waren enttäuscht. Trotzdem, ihr Schlussvotum war ein Dankeschön, dass wir die Ferme zu behalten versuchen!
Wie tief die Botschaft sitzt, ist natürlich ungewiss. Eine neue Frau im Elternkomittee, mit Erfahrung aus einer andern Begleitgruppe, hat aber den andern erzählt, dass sie das kenne, denn dort hätten sie auch die ähnliche Ankündigung nicht geglaubt und nichts getan, und kurz darnach sei der Wohltäter tatsächlich gestorben. Also man müsse es in die Hand nehmen solange Mösiö Hans noch da sei! Sie ist jetzt auch Mitglied im Subkomittee Ferme, welches mehr Verantwortung dafür übernehmen soll, denn es bleibt ja dabei, Geld gibt es nur für die Schule. Allerdings erlauben wir die Idee, dass Augustin von der Schule einen Lehrerlohn erhalten könnte, allenfalls. Und dieses Subkomittee hat am kommenden Donnerstag bereits die erste Sitzung.
Und ich freue mich auf Samstag, wenn wir mit den Lehrern das „Museum des Kivu“ besuchen werden, um ihnen ihre eigenen Wurzeln zu zeigen. Übrigens sind wir mittlerweile vom Stadtzentrum ins Quartier Muhumba umgezogen, und wir wohnen bei den italienischen Fratres Saveriani, alle ca 70 oder drüber, alle arbeiten noch. Das hier ist eine Insel der Ruhe, direkt am See, wo Hansjörg schwimmen geht, und wo es richtigen Espresso gibt…